40 Erfolg durch Scheitern
Nach meinem Studium an der TH Karlsruhe erhielt ich ein Stipendium der indischen Regierung und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und durfte mich über zwei Jahre lang an der School of Planning and Architecture in New Delhi mit dem Thema Stadtplanung in der Dritten Welt beschäftigen. Für mich ist es keine Schande zu gestehen, dass dieser Erfolg eigentlich das Ergebnis eines Misserfolgs ist. Gegen Ende meines Studiums hatte ich das Gefühl, endlich einmal “raus” zu müssen. Ein Auslandsstudium schien mir der richtige Weg zu sein, meinen Horizont zu erweitern, und der Wunsch alleine schien mir Grund genug, mich beim DAAD um ein Stipendium nach Großbritannien zu bewerben. Das müssen die doch verstehen, dachte ich.
Also: Zeugnisse kopieren, Formulare ausfüllen, auf die Einladung zur Vorstellung warten, Einladung erhalten, hinfahren, vorstellen, zurück nach Hause, auf die Zusage warten, Brief erhalten, freudig erregt öffnen…
Stipendium? Pustekuchen! Abgeblitzt!
Nach der ersten Enttäuschung kam ich ins Grübeln. Okay, bei einigen Fragen musste ich ganz schön improvisieren. Die Begründung, was ich da wollte, war ganz schön dünn und nicht sonderlich schlüssig. Langsam dämmerte es mir, was da falsch gelaufen war. Letztlich haben mir die Fragen während des Vorstellungstermins geholfen, die Schwachstellen meiner Bewerbung zu erkennen. Was tun? Ich wollte ja immer noch ins Ausland. Aber jetzt arbeitete ich an einem richtigen Programm. Wo willst Du überhaupt hin? Was willst Du eigentlich da? Was interessiert Dich langfristig? Welche Möglichkeiten gibt es da? Passt das mit Deinen Zielen überein? Wollen die Dich überhaupt?
Ich arbeitete intensiv an meiner Vorbereitung. Ich wusste, ich tue das für mich, nicht für den DAAD. Und dann hatte ich die Chuzpe, mich ein Jahr darauf noch einmal zu bewerben. Ablauf ähnlich wie oben - zumindest bis zur Vorstellung. Eine der ersten Fragen: "Sie waren doch voriges Jahr schon mal da. Wieso bewerben Sie sich heute schon wieder?" mit dem gefühlten Unterton "Ganz schön frech. Haben Sie nichts dazugelernt?"
Doch ich hatte! Und genau diese Frage hatte ich auch erwartet - und einige auch nicht. Unter anderem z.B. "Was sagen Sie denn, wenn ein Inder Sie fragt, was die Deutschen von Hitler halten?" Er hätte doch schließlich die Autobahnen gebaut etc. Schluck, was sag’ ich denn? Die Antwort und einige andere können nicht ganz blöd gewesen sein - die Fragen übrigens auch nicht. Die Überraschungsfrage nach dem "Gröfaz" (für jüngere Generationen: "Größter Führer aller Zeiten") wurde mir nämlich bei einem Vortrag vor etwa 150 indischen Zuhörern einige Monate nach meiner Ankunft tatsächlich gestellt.
Jedenfalls wartete ich nicht mehr ganz so euphorisch wie beim ersten Mal auf den bewussten Brief und freute mich dann riesig, als die Antwort diesmal positiv ausfiel. Die Zeit in Indien gehört zu den Schönsten in meinem Leben und sicher auch zu den Lehrreichsten. Wer weiß, ob ich die Bewerbung für das Stipendium so intensiv vorbereitet und anschließend bekommen hätte, wenn ich davor nicht auf die Nase gefallen wäre?
Es ist ein großer Vorteil im Leben,
die Fehler, aus denen man lernen kann,
möglichst früh zu begehen.
Winston Churchill
Wat lernt uns das?
Auch wenn einem manche Dinge im Leben in den Schoß fallen, heißt das nicht, dass es immer so sein muss. Stolpersteine sind manchmal ganz nützlich. Sie helfen dabei, wach zu werden und den Blick wieder auf das Wesentliche zu richten. Nach einem Fehlschlag die Ursachen zu ergründen und selbstkritisch zu reflektieren, welche Fehler möglicherweise dazu geführt haben, ist allemal sinnvoller als gleich die Flinte ins Korn zu werfen und sich dem nächsten Thema zuzuwenden. Nicht immer sind es die "unglücklichen Umstände". Nicht immer sind "die anderen" schuld. Kommunikation hat immer zwei Seiten, Sender und Empfänger. Haben die es nicht verstanden, war ich nicht in der Lage, es zu vermitteln. Mangelndes Verständnis auf der Empfängerseite kann natürlich schon gar kein Grund sein, mangelnde Vorbereitung zu erklären. Manche Politiker (und nicht nur diese) beherrschen zwar die Fähigkeit, viel zu reden und nichts zu sagen. Aber das funktioniert nur in den seltensten Fällen.
Außer dem Blick zurück und der kritischen Analyse gibt es noch einen weiteren Faktor, um eine Niederlage in einen Erfolg zu verwandeln: Der Mut, es noch einmal zu probieren. Was ist falsch daran zu sagen "Ja, ich habe einen Fehler gemacht, aber ich habe daraus gelernt?" Allenfalls die Scham, einen Fehler zugeben zu müssen, könnte uns daran hindern. Nebenbei finde ich es erstaunlich, dass es oft schwieriger ist, einen Fehler zuzugeben als ihn zu machen! "Wer viel tut, macht Fehler. Nur wer nichts tut, macht keine Fehler" heißt es, wobei allerdings übersehen wird, dass der größte Fehler möglicherweise darin besteht, nichts zu tun. Also, was soll’s? Karten auf den Tisch! Zu den Fehlern der Vergangenheit stehen und zeigen, dass man dazugelernt hat, ist sicher überzeugender, als zu versuchen drumherum zu reden. Aufgeben? Kommt nicht in Frage.
Wer kämpft, kann verlieren.
Wer nicht kämpft, hat schon verloren!
Bertold Brecht