Experten-Balztanz
Manche Berichte, in meiner Erfahrung vorwiegend aus der Feder von Gutachtern und Sachverständigen, erinnern mich in ihren komplizierten und verquasten Formulierungen an den Balztanz des Paradiesvogels. Haben Sie dieses Schauspiel im Fernsehen schon einmal beobachtet? Er plustert sich bis zum vierfachen seiner Größe auf, spreizt die Federn zu ungeahnen Mustern, hüpft aufgeregt auf und ab und sucht das Weibchen durch allerhand Chichi auf sich aufmerksam zu machen. Der Balztanz der Experten: Für den Adressaten meist unverständliche Fachausdrücke und Abkürzungen ohne nähere Erläuterung, lange, ineinander verschachtelte Sätze, unnötig umständliche Ausdrucksweise!
Den Höhepunkt sprachlicher Selbstbefriedigungsergüsse erhielt ich vor einiger Zeit von einem Gutachter für Bauschäden. Nur zwei DIN A4 Seiten. Gleich auf der ersten Seite stieß ich an meine Grenzen. Wie bitte? Was meint der? Ich lese noch einmal. Ein drittes Mal ganz konzentriert. Ich raff' es nicht. Entweder bin ich seit kurzem Legastheniker oder der Schreiber hat sich so in seinen komplizierten Satzbau verrannt, dass er dabei völlig den Faden verloren hat. Meine Scheu zu fragen bewegt sich nach vielen Jahren als Projektsteuerer gegen Null. Ich rufe einen befreundeten Sachverständigen der gleichen Fachrichtung an, nachdem ich ihm das Schreiben zugeleitet habe und bitte um seinen Rat. Wir lesen das Schreiben gemeinsam und parallel am Telefon. "Moment mal!" sagt er, "Ich muss das nochmal lesen." Nach einer kurzen Phase der Irritation kippt die Verwirrung um in ein herzliches Lachen. Wir kommen gemeinsam zu dem Schluß, dass der Inhalt sich irgendwie im Satzbau verdünnisiert, versickert wie ein Bächlein im Wüstensand. Die Worte ergeben tatsächlich keinen Sinn.
Für meinen Gesprächspartner ist der Kollege und dessen gequälte Ausdrucksweise ein alter Bekannter. Vor Gericht, so erzählt er mir, wollte sich dieser Experte einmal sprachlich offenbar besonders hervortun. Er redete und drückte sich dabei so kompliziert aus, dass er irgendwann komplett den Faden verlor, völlig aus der Fassung geriet, krampfhaft versuchte, wieder Land zu gewinnen, vor Nervosität ins Stottern geriet bis er schließlich mit hochrotem Kopf und fast schon hyperventilierend - um eine Unterbrechung bat.
Wat lernt uns das?
Manche Menschen versuchen, durch eine besonders "gewählte" Ausdrucksweise ihre Fachkenntnis zu betonen und damit ihren Status anzuheben, um sich dadurch über die Masse der Nicht-Experten, der Unwissenden zu erheben. Es kommt ihnen nicht auf Verständlichkeit an und manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass genau das Gegenteil beabsichtigt ist. Je weniger der Gesprächspartner versteht, um so beeindruckter sollte er wohl von seinem Gegenüber sein.
Der Psychologe Gerd Gigerenzer schreibt in seinem Buch "Risiko":
"Wenn ein Redner nebulöse Ausdrücke und Wendungen benutzt, die niemand wirklich versteht, gibt es immer einige Zuhörer, die sich davon beeindrucken lassen.*) Ich kenne Autoren, die noch nicht einmal versuchen, verständlich zu schreiben, weil sie glauben, dass ihre Leser sie dann nicht für intelligent halten."
*) oder aus Eitelkeit nicht zugeben wollen, dass sie nichts verstanden haben. (Der Verfasser)
Diese Selbstverliebtheit ist nicht nur grob unhöflich und rücksichtslos. Vor allem, wenn man bedenkt, welchen Einfluss Gutachter und Sachverständige z.B. in einer gerichtlichen Auseinandersetzung haben, sollte die Fähigkeit und der Wille zu einer verständlichen Sprache an erster Stelle stehen. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich unter meinesgleichen diskutiere oder ob ich einen schwierigen Sachverhalt einem Laien verdeutlichen muss - sei er privater Bauherr, Richter oder einfach nur der Kollege einer anderen Fachrichtung.
Wer kompliziert redet, will nicht informieren sondern imponieren!
Ehrliche Kommunikation sollte das nicht nötig haben. Sie bedarf vor allem der Fähigkeit und die Bereitschaft, sich auf das Sprach- und Fachniveau des Gesprächspartners einzustellen, Sachverhalte verständlich zu vereinfachen und evtl. geeignete Metapher möglichst aus dem Erfahrungsbereich des Gegenübers zu wählen. Einfacher Satzbau, Verbalisierung anstelle von Substantivierung, Verzicht auf unnötige Fremdwörter, Erläuterung seltener Abkürzungen sind nur einige Mittel, um die Verständlichkeit zu verbessern. Ein wirklich souveräner Experte zeichnet sich dadurch aus, dass er den verbalen Balztanz nicht nötig hat.